Buchtipp: Lauf Ludwig, lauf!
Ichenhausen - ein Ort an der Günz - vor etwa 100 Jahren. Vor diesem Hintergrund erzählt Rafael Seligmann die Geschichte einer jüdischen Familie zwischen 1914 und 1933.
local_library Seligmann, Rafael: Lauf, Ludwig, lauf!
Die Seligmanns sind eine alteingesessene und angesehene Kaufmannsfamilie, die in Ichenhausen vom Handel mit der Landbevölkerung und der handwerklich betriebenen Herstellung von Textilien lebt. Als der erste Weltkrieg ausbricht, folgt auch Vater Seligmann dem Ruf des Kaisers, der “keine Parteien noch Konfessionen, sondern nur noch Deutsche” kennt. Als in der Synagoge an Chanukka 1914 die ersten Toten zu betrauern sind, vergleicht der Rabbiner den einstigen Freiheitskampf der Juden unter den Makkabäern mit dem der “deutschen Grenadiere, die für unser Land und seine Freiheit fechten, das sich einer Welt von Feinden erwehren muss”. Der nationale Ton durfte auch in diesem Gotteshaus nicht fehlen. Jüdische Soldaten wie Ludwigs Vater wollen sich im Krieg als verantwortungsbewusste Bürger mit allen Rechten und Pflichten beweisen.
Der Vater kehrt körperlich unbeschadet aus dem Krieg zurück, doch es zeigt sich bald, dass er nicht mehr derselbe ist. Die Söhne Ludwig und Heiner müssen bald zum Lebensunterhalt beitragen und ihre Schulausbildung vorzeitig abbrechen. Zudem funktionieren die alten Geschäftsmodelle in der Zeit der Geldentwertung und des wirtschaftlichen Umbruchs nicht mehr. Ludwig und Heiner beißen sich, jeder auf seine Weise, durch, und als die Zwanziger dann doch noch “golden” zu werden scheinen, gewinnt auch der Vater seinen Optimismus wieder und scheint wieder seinen Weg zu finden.
Die Geschichte, sie beruht auf den Erinnerungen Ludwig Seligmanns, des Vaters von Autor Rafael Seligmann, zeichnet ein lebendiges und glaubwürdiges Bild der Zeit und insbesondere der Menschen, die damals in jüdischer Tradition aufgewachsen waren - mit allen ihren Unterschieden, die uns heute leider oft nicht mehr bewusst sind. Auf dem Land waren Tradition und Frömmigkeit bei Juden wie Christen noch selbstverständlich, während Ludwig bei einem Besuch in der großen Berliner Synagoge erstaunt feststellte, dass die Mindestzahl von zehn Gottesdienstteilnehmern nur knapp erreicht werden konnte.
Die alten Gegensätze scheinen zu verschwimmen und auch im Ichenhausener Fußballverein spielt es keine Rolle, an welchen Gott der Torschütze glaubt. Doch in der Person von Ricarda lernt Ludwig eine junge Frau kennen, die nicht daran glaubt, dass Juden in Deutschland eine Zukunft haben können. Von ihrer Familie belächelt und bedauert, bereitet sie sich konsequent auf ein Leben in Palästina vor. Ludwig kann ihr darin nicht folgen.
Doch mit der Weltwirtschaftskrise und dem Aufkommen des Nationalsozialismus mit seinen braunen Schlägertrupps kommen auch in Ludwigs Familie die Zweifel wieder auf…
Diesen Roman würde ich mir als Schullektüre für den Geschichtsunterricht in allen 9. Klassen wünschen, verbunden vielleicht mit einem anschließenden Besuch in Ichenhausen? Die Synagoge von Ichenhausen wurde am 9. November 1938 verwüstet, aber nicht vollständig zerstört. Sie kann heute wieder besucht werden. Ichenhausen ist auch Standort des Bayerischen Schulmuseums. Mehr zur jüdischen Geschichte Ichenhausens gibt es hier zu lesen.
Eindeutige Bewertung! starstarstarstarstar